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Filmkritik
Schon in der ersten Szene von „Bitter Gold“ scheint Carla (Katalina Sánchez) das Unglück zu ahnen. Als sie und ihr Vater Pacifico (Francisco Melo) mit einem alten Pick-up Tagelöhner an einer Kreuzung abholen, um sie zur Mine in den Bergen zu fahren, bricht ein Streit aus. Weil einer der Männer, Humberto (Michael Silva), wieder betrunken zur Arbeit erscheint, will ihn Pacifico feuern. Doch seine Tochter rät dringend davon ab. Ihr Vater kann jeden Mann gebrauchen, der bereit ist, für wenig Lohn in dem illegal betriebenen Kupferstollen zu schuften.
Vor Ort marschieren die Männer mit ihren Kopflampen in den dunklen Stollen, in dem Pacifico eine Erzader aufgespürt hat. Mit Dynamit sprengen sie das Gestein auf und transportieren es mit rostigen Schubkarren ins Freie. Carla bereitet derweil das Mittagessen für die Männer zu. Die 16-jährige Jugendliche träumt davon, am Meer zu wohnen und die Schule zu besuchen. Um das Geld für diese Pläne zu beschaffen, graben Vater und Tochter heimlich in einem stillgelegten Schacht nach Goldnuggets.
Inmitten einer rauen Männerwelt
Doch Humberto hat Verdacht geschöpft und folgt ihnen. In der Mine bricht ein Kampf aus. Als Pacifico dabei angeschossen wird, tötet er Humberto. Vater und Tochter lassen die Leiche im Stollen zurück und verrammeln den Eingang. Mit seiner Beinwunde kann er aber nicht mehr selbst am Steuer sitzen. Deshalb muss Carla seine Kollegen mit dem Geländewagen einsammeln. Nur widerwillig nehmen die Männer die fadenscheinige Erklärung zur Kenntnis und beginnen mit der Arbeit. Als Pacifico sich aber auch nach Tagen nicht blicken lässt, regt sich Widerstand. Zudem forscht ein Verwandter von Humberto nach dem Verschwundenen, und auch die Schusswunde bereitet Pacifico immer größere Schmerzen.
Der chilenische Regisseur Juan Francisco Olea interpretiert seinen Film als Neo-Western, der mit den traditionellen Mustern des Genres bricht. Statt eines männlichen Helden, der gegen eine feindliche Umgebung oder ungerechte Verhältnisse kämpft, ist es hier eine junge Frau, die sich inmitten einer Machismo-Kultur gegen Willkür, Frauenfeindlichkeit und Machtmissbrauch behaupten muss.
Olea nutzt dabei typische Western-Elemente wie die Suche nach Gold, die Sehnsucht nach Reichtum, Schusswaffen oder die permanenten Revier- und Machtkämpfe. Doch sie bestimmen nicht den Kern der Erzählung. Im Zentrum stehen vielmehr das symbiotische Tochter-Vater-Verhältnis und die gemeinsame Hoffnung, der Armut zu entkommen; es geht aber auch um den schwierigen Emanzipationsprozess der Protagonistin, der in eine befreiende Selbstermächtigung mündet.
Gold schmeckt bitter
Die fesselnde Handlung ist in einer grandiosen Landschaft angesiedelt. Die Kamera von Sergio Armstrong gleitet in der Atacama-Wüste mitunter über endlose Ketten aus Sandhügeln und Berghängen oder blickt aus der Perspektive von Drohnen auf die Figuren, die vor dieser Kulisse klein und unbedeutend wirken. In der unwirtlichen Einöde können Menschen nur überleben, wenn sie hart im Nehmen sind und ihnen keine Arbeit zu schweißtreibend oder gefährlich erscheint. Und wenn sie sich mit dem Gesetz des Stärkeren arrangieren, das hier herrscht.
Umso prekärer ist die Ausgangslage für Carla. Die aufgeweckte Heranwachsende hat eine schnelle Auffassungsgabe. Sie kann improvisieren und sich geschickt anpassen, ohne ihre Ziele aus den Augen zu verlieren. Zunächst sieht man sie nur beim Kochen. Doch Carla regelt auch die Geldgeschäfte mit dem Abnehmer des Erzes, und sie führt auch Buch über die Jobs ihres Vaters. Sie hilft ihm, den Totschlag zu vertuschen, und lässt die Leiche verschwinden. Notgedrungen arbeitet sie sich in den Kleinbergbau ein und füllt bald den Chefposten aus. Dabei helfen ihr Tipps des Vaters, der ihr beispielsweise erklärt, wie man Erze unterscheiden kann: „Kupfer hat einen scharfen Nachgeschmack. Wenn es Gold ist, schmeckt es immer etwas bitter.“
Die junge Schauspielerin Katalina Sánchez zeigt eine beeindruckende Leistung als Minderjährige, die mit ihren Aufgaben wächst und viel zu früh erwachsen werden muss. Francisco Melo steht ihr als tragische Vaterfigur kaum nach; er spielt den aufbrausenden Vater mit zurückgenommenem Gestus. Die Lizenz für die Mine hat sich Pacifico erschwindelt, aber um die Tochter kümmert er sich liebevoll. Je mehr Katalina Sánchez als Tochter an Profil gewinnt, indem sie sich gegen traditionelle Rollenzuschreibungen auflehnt und allmählich Respekt verschafft, desto stärker nimmt sich Francisco Melo als Darsteller zurück. Auch das verdient Anerkennung.