









- Veröffentlichung14.08.2025
- RegieMichael Philippou, Danny Philippou
- ProduktionAustralien (2025)
- Dauer104 Minuten
- GenreHorror
- Cast
- IMDb Rating7.6/10 (8206) Stimmen
Vorstellungen


Filmkritik
Andy (Billy Barratt) sieht die Welt für Piper (Sora Wong). Sie klingt ein wenig rosaroter als in Wirklichkeit, wenn der große Bruder sie beschreibt. Wenn er sieht, wie die Klassenkameradin das unwillkürliche Zittern von Pipers Augen nachäfft, bekommt die blinde Schwester nur zu hören, dass die anderen Mädchen sie ganz gerne hätten. Nur das von den Geschwistern vereinbarte Codewort – „Grapefruit“ – verpflichtet den Halbbruder, die pure Wahrheit zu sagen; denn Piper ahnt, dass die Welt doch anders aussieht, als Andy zugeben mag.
In „Bring Her Back“ von Danny Philippou und Michael Philippou (den Regisseuren von "Talk to Me") dreht sich alles ums Sehen und Nichtsehen. Was sieht Andy, als der Vater tot vor der Dusche liegt? Was sieht Piper? Und: Was sieht Piper nicht? Der US-amerikanische Staat sieht die Sache so: Die Geschwister gehören in die Obhut einer Pflegefamilie, zumindest bis Andy 18 Jahre alt ist und das Sorgerecht für seine Schwester beantragen kann.
Eine gewaltige Leere im Hinterhof
Laura (Sally Hawkins) ist die perfekte Kandidatin für eine Pflegschaft. Ihre eigene Tochter starb bei einem Unfall im Swimmingpool. Wie Piper war das Mädchen blind. Heute erinnern nur noch alte VHS-Aufnahmen an die Tochter. Der Pool ist dauerhaft entleert; nur noch eine gewaltige Leere im ansonsten zauberhaften Hinterhof. Bis zum Tod der Tochter war Laura als Sozialarbeiterin engagiert. Heute kümmert sie sich um ihren Sohn Oliver (Jonah Wren Phillips), der seit dem Tod der Schwester nicht mehr spricht. Als perfekte Kandidatin geht Laura offen mit allem um: der eigenen Trauer, der Trauer der Kinder; der Notwendigkeit, die eigene Liebe mehr als deutlich auszudrücken, und der Notwendigkeit, ab und zu mal ordentlich Dampf abzulassen. In ihrem Spät-68er-Zuhause wird gemeinsam geflucht, getrunken und getrauert – immer mit einem Lächeln, das ein kleines, irritierendes Fünkchen zu intensiv ist. Es ist eine Paraderolle für Sally Hawkins, die ihre Happy-Go-Lucky-Energie hier mit den kleinsten Gesten in Monstrosität zu verwandeln weiß, wenn sie fröhlich grinsend einen ausgestopften Hund liebkost und die Kinder im ständigen Wechsel zwischen New-Age-Pädagogik und autoritärer Aggression in ihrem Bann hält.
Piper bleibt der Schrecken verborgen, der im Mandala-Achtsamkeits-Alternativ-Zuhause herrscht. Andy hingegen fällt schnell auf, dass hier etwas nicht stimmt. Laura weiß all das vor Piper zu verschleiern, während sie Andy unter Druck setzt und dabei ihre Erfahrungen als Sozialarbeiterin nutzt. Sie untergräbt seine Glaubwürdigkeit, liest die Nachrichten auf seinem Smartphone und sammelt ihren Urin, um ihn dem schlafenden Jungen über die Hose zu kippen.
Weghören & wegsehen
„Bring Her Back“ entfaltet sich so verstörend wie prosaisch. Das Dämonische bleibt wie die Erinnerung an die Tochter zunächst auf Video-Tape gebannt. Neben den Homevideos schauen Laura und Oliver regelmäßig etwas, das wie ein Snuff-Film anmutet, tatsächlich aber eine Art Geisterbeschwörung zeigen soll, auf die sich Laura seit Langem vorbereitet. Bis dahin bastelt der Film ziemlich elegant allegorische Querverbindungen zu einer so verstörenden wie tragischen Geschichte von Kindesmisshandlung zusammen. Die Erzählung trägt ihre eigenen Subtexte oft gut sichtbar vor sich her. Das Mädchen ohne Augenlicht ist als Opfer zugleich eine allegorische Figur: blind für das, was Misshandlungen mit ihr machen. Die gewaltige Kluft zwischen dem bürokratischen Apparat der Kindesfürsorge und der als Horrorfilm gelebten Lebensrealität der Kinder ist als Weghören sichtbar – und damit als Voraussetzung der andauernden Gewalt gegen die Minderjährigen präsentiert.
Die Bilder von Aaron McLisky imitieren die Erzählmotive im brutalen Wechsel zwischen Unschärfen und unangenehmer Nähe. Als Horrorfilm ist „Bring Her Back“ viel zu zugespitzt, um mechanisch zu wirken. Wenn der Film von der alles grundierenden Tragik zur Drastik wechselt, bricht das Genrehandwerk aus den Rahmungen der narrativen Konstruktion hervor: Ein Kind beißt dann im Wahn so lange auf ein Küchenmesser, bis die Klinge ihren Weg zwischen die Schneidezähne bahnt, knirschend zwischen Zahnschmelz und Kiefer festsetzt, bevor der Bruder zur Hilfe eilen kann. Es ist der Anfang jener bitteren Konsequenzen, die „Bring Her Back“ schonungslos ausbuchstabiert. Bis endlich jemand hinsieht.