









Vorstellungen



Filmkritik
Als Billie (Gio Ventura) und Mimi (Louiza Aura) sich zum ersten Mal gegenüberstehen, ist es Liebe auf den ersten Blick. Beide sprechen im Jahr 2005 bei einer Casting-Show vor. Doch die im Butch-Look auftretende Billie blitzt mit ihrer kämpferischen Message bei den Juroren ab. Die süße Mimi dagegen entwickelt sich sofort zum Darling. Den Machern ist zu viel Antikonformismus suspekt. Sie wollen Mimi, die „viel Stimme, aber wenig Persönlichkeit“ besitzt, in ihrem Sinne zur perfekten Pop-Diva umgestalten. Dass sie lesbisch ist, soll sie für sich behalten. Denn ihr Image ist das eines hübschen, aber sexuell nicht zu aggressiven Girlies, quasi eine entschärfte Version von Britney Spears. Unter dem Künstlernamen Mimi Madamour feiert sie bald Erfolge, nicht zuletzt mit ihrem Hit „Déchets d’amour“ (Verbrauchte Liebe).
Privat unterhält Mimi eine turbulente Liebesbeziehung zu Billie. Doch diese wird schnell durch Missverständnisse sowie ihre sehr unterschiedlichen Temperamente eingetrübt. Billie empfindet sich als Störfaktor in Mimis Leben. Die androgyne Billie provoziert bewusst, ignoriert gesellschaftliche Normen und hält an ihrem Punk-Image fest – ein Stil, der mit Mimis glatter Popwelt unvereinbar scheint. Als sie ihre Freundin auf dem Set eines neuen Musik-Clips besuchen will, wird sie vom Team prompt verscheucht.
Eine komplizierte Liebesbeziehung
Auch Billie tritt auf, in Underground- und Szene-Clubs. Ihr kommt es nicht auf Kommerz an. Bei Mimi aber geht die Karriere vor. Sie will ihre Zeit nicht mit ihrer Liebsten vertrödeln. Nach dem Gewinn der Casting-Show steht für Mimi die Aufnahme eines Albums an, dann eine Tour, Signierstunden und so weiter. Mit dem poppigen Song „Touche pas“ (Nicht anfassen) landet sie einen Welthit. Als sie nach dem Gewinn eines weiteren Preises allen Weggefährten dankt, dabei aber Billie übergeht, kommt es zum großen Krach. Billie wirft Mimi vor, ein Doppelleben zu führen. Sie stehe nicht zu sich und drücke sich vor einem Coming-out. Schließlich macht Mimi Schluss, was Billie in einem Strudel aus Depression und Selbstzerstörung stürzt.
Erzählt wird die Geschichte von Mimi und Billie als lange Rückblende durch die Augen von Mimis größtem Fan, der Dragqueen Stevie Shady (Bilal Hassani), und zwar im Jahr 2055. Die Transperson Stevie himmelte Mimi schon als Teenager an und ist noch fünf Jahrzehnte später eifersüchtig auf Billie, die er/sie verächtlich als „diese Punksängerin“ abtut. Mehrfach hat sich die exaltierte Stevie als Stalker von Mimi hervorgetan, ist bei ihren Auftritten auf die Bühne gestürmt und hat sie auch einmal in ihrer Garderobe überrascht Trotz aller Exzentrik erweist sich Stevie als ideale Erzählerfigur – mit umfassender Kenntnis von Mimis Leben und Karriere. So knallbunt, grell und überkandidelt wie Stevie ist der ganze Film in seiner Mischung aus Mockumentary und Musical, Soap Opera und Melodram.
Viel Tratsch & Klatsch
Im Vorspann schaut man durch ein Kaleidoskop, das sowohl die Farbenfreude als auch das Fragmenthafte der filmischen Narration andeutet. Danach rahmen poppige, oft in Pinktönen gehaltene Fernsehshows oder Nachrichtenclips die Geschichte um Mimi und Billie ein. Die Juror:innen oder Moderator:innen erweisen sich oft als besonders gehässig und fallen Mimi und Billie durch Klatsch- und Tratschgeschichten in den Rücken. Dadurch will „Drama Queens“ wohl auch Kritik am oberflächlichen und erbarmungslosen Showbiz sowie den Medien üben. Nach einem Zeitsprung von 10 Jahren wird auch der Einfluss der aufkommenden Sozialen Medien thematisiert. Es gibt Kritik an der queeren Szene, aber zugleich wird auch die queerfeindliche Haltung der Gesellschaft angeprangert, die sich in den 2000er-Jahren noch immer schwer damit tat, eine attraktive junge Frau als lesbisch zu akzeptieren.
Wenn die Figuren spontan in Tanz und Gesang ausbrechen, gerät der Film zum temporären Musik-Clip und wendet sich dem Genre des Musicals zu. Die Songs variieren zwischen Synthie-Pop und härteren Tönen, die aber nicht dem Punk zuzuordnen sind. Der Debütfilm von Regisseur Alexis Langlois gönnt weder den Figuren noch den Zuschauern eine Atempause. Alles ist laut, camp und trashy; schnelle Schnitte und Stroboskop-Licht bilden die visuelle Kulisse zu dem musikalischen Feuerwerk.
Dabei können auch die beiden Hauptfiguren kaum durchatmen; es bleiben nur wenige leisere Momente zwischen beiden Protagonistinnen, die alsbald in Beziehungskrisen geraten. Denn Mimi und Billie sind wie Feuer und Wasser, Pop und Punk – wenn da nicht die großen Gefühle wären. „Drama Queens“ beschwört diese Gefühle jedoch eher durch Dialoge und Außenperspektiven als durch unmittelbares Erzählen. Die ständige Hatz nach immer grelleren und lauteren Sinneseindrücken raubt dem Film auf Dauer einiges an Potenzial und ermüdet außerdem. Die Tonlage schwankt zwischen satirisch, kritisch und camp, wird zwischendurch hyperdramatisch und schont auch die beiden Protagonistinnen nicht.
Ein Duett über Zellen hinweg
Beide entwickeln sich unabhängig voneinander zu Stars, die privat an dem Jahre währenden Liebeskummer (Billie) und einem Doppelleben (Mimi) zerbrechen. Mimi wird schließlich zwangsgeoutet; sie hat das öffentliche Coming-out immer wieder verschoben; ihrer labilen Psyche gibt das den Rest. Billies selbstzerstörerischer Wahn gipfelt hingegen in einer extremen Zuwendung zur plastischen Chirurgie. Beide koksen und trinken ohne Maß, finden aber in einer Szene wieder zueinander, die in ihrer Überspitztheit das Zeug zum Klassiker hat: Sie singen gemeinsam in benachbarten Gefängniszellen ein Duett über Herzschmerz und verlorene Träume – ein traurig-witziger, tiefbewegender Moment.
Einige Songs von „Drama Queens“ reißen durch ihre Eingängigkeit regelrecht mit. Die unkonventionelle Billie imaginiert musikalisch, wie sie sich in Mimis Herz bohren kann („Fistée jusqu'au cœur“), während Mimis Hits textlich zahmer und musikalisch poppiger herüberkommen. Am Ende des Films bleibt ein Gefühl der Erschöpfung – doch die eingängigen Melodien von „Déchets d’amour“ und „Touche pas“ klingen lange nach.